ORIGINAL AROMA

WIE BILDERREICH KANN DIE SPRACHE BEI DER BESCHREIBUNG EINES GELIEBTEN MENSCHEN SEIN, WIE AUSDRUCKSSTARK BEI NATURSCHILDERUNGEN, WIE GENAU IN DER WIEDERGABE VON SACHVERHALTEN. FÜR DIE FESTSTELLUNG VON GESCHMACKSNUANCEN LÄSST SIE UNS KLÄGLICH IM STICH. EINER FÜLLE VON SINNESEINDRÜCKEN STEHEN GERADE EINMAL VIER WÖRTER GEGENÜBER: SÜSS, SAUER, BITTER, SALZIG. DAMIT SOLL MAN JETZT BITTESCHÖN DEN GESCHMACK EINER KARTOFFEL AUF DEN PUNKT BRINGEN? GESCHWEIGE DENN VERSTÄNDLICH MACHEN, WIE SICH DIESER VON DEN ÜBRIGEN 499 SORTEN UNTERSCHEIDET? SO, DASS JEMAND ANDERS EINE VORSTELLUNG DAVON BEKOMMEN KANN. DIE SEMANTIK HINKT DER VIELFALT DER WAHRNEHMUNGEN HINTERHER.

Der Unterschied ist nicht nur zu sehen, sondern auch zu schmecken.

MACHEN WIR EINEN ABSTECHER ZU EINEM VIELBESUNGENEN LEBENS- UND GENUSSMITTEL UND BELAUSCHEN EINEN DIALOG, WIE ER SO ODER ÄHNLICH IN ALLEN ZENTREN GEHOBENER LEBENSART ZU HÖREN IST.

Sagt der eine, indem er das Glas gegen das Licht hält: „Hellgelb mit grün funkelnden Reflexen, vermutlich Jahrgang 2009, höchstens 2008.“ Er schwenkt das Glas und beobachtet mit verengten Augen, wie die Flüssigkeit in Schlieren am Glas abrinnt: „Hmmh, da dürfen wir so um die 11 bis 11,5 Prozent Alkohol erwarten.“ Sagt der andere, der schon die Nase tief ins Glas gesteckt und geräuschvoll Luft eingesaugt hat: „Ah, Hartmut, das ist ein Weinchen: Zitrus- und Grapefruittöne und da hinten eine leichte Ahnung von Akazie.“ Der andere, von dem wir jetzt wissen, dass er Hartmut heißt, nickt und ergänzt: „Stroh.“ Beide nicken ergriffen im Einklang miteinander und dem Wein. „Prost.“ Jetzt nehmen sie einen Schluck, wälzen ihn im Mund, knabbern mit den Vorderzähnen und produzieren folgende Ausdrücke: Würzig. Mineralisch. Pfeffrig. Stachelbeere. Apfel. Schlanker Körper. Feine Säure. Gut eingebunden in die Frucht. Und so weiter. Können Sie sich so ein Gespräch über Erdäpfel vorstellen? Über Lauch? Oder Fleisch? Beim Wein funktioniert das. Hier hat sich die Weinwelt über lange Zeit auf eine Ausdrucksweise verständigt, die geeignet ist, tief in verästelte Geschmacksstrukturen einzudringen und ein allgemein verständliches Bild zu formulieren. International. Über alle Grenzen hinweg. Dieser Jargon kommt natürlich auch nicht mit den kargen Begrifflichkeiten von süß, sauer, bitter und salzig aus. Er verlässt die Ebene der Eigenschaftswörter und zieht ein weites Feld von Analogien heran. Der zielgerichtete Umgang damit setzt voraus, dass jeder weiß, was gemeint ist, wenn man einen Geschmack mit „nach Feuerstein anmutender Kristallcharakteristik“ erklärt und damit schon weit ins Sophistische driftet.

„Na, wie schmeckt denn Feuerstein?“, ruft Dipl.-Ing. Manfred Winkler, ringt die Arme und lässt sie krachend auf den Schreibtisch fallen. Er ist Direktor der HTL für Lebensmitteltechnologie in Hollabrunn und bedauert das Fehlen eines ähnlichen Vokabulars bei anderen Nahrungsmitteln. Der physiologischen Empfindung, also dem Geschmack, fehlen die Worte. Und selbst wenn man sie hätte, würden sie nicht auf Verständnis stoßen. „Wir sind am Anfang einer Entwicklung, die wir aber energisch vorantreiben“, sagt Winkler. „Wir brauchen ein systematisches Vokabular, das eine exakte Nachvollziehbarkeit garantiert.“ Genau das zu erstellen, hat die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft, zu deren erlauchtem Kreis sich auch Winkler zählen darf, vor. Der Grundkonsens an Wörtern braucht aber eine wissenschaftliche Geburtshilfe. Bis jetzt liege zwar von ebendieser Gesellschaft ein Katalog an Begriffen vor, die aber nur die Mängel der Produkte beschreiben. Er wird zur Lebensmittelprüfung herangezogen und stellt im Ausschlussverfahren mit Codes wie seifig, pappig, fettig etc. die Fehler fest. Dabei enthalten Fleisch und Wurst 20 bis 30 Einzelaromen, die man benennen könnte, wenn man ein Gas-Chromatograph wäre. Während die Maschine die Aromen haarklein trennt, empfindet der Mensch komplex. Wobei der erste und der letzte Eindruck prägt. Dazwischen herrscht suchende Ungewissheit, die nur durch Training, durch Vergleiche und die Erinnerung an ähnliche Empfindungen transparenter und definierbarer wird. „Gewisse Aromen werden schneller flüchtig, sie werden durch die Wärme im Mund freigesetzt, andere entwickeln sich später“, erklärt Manfred Winkler.

Leider wirft die Maschine, also der Chromatograph, nur Formeln aus: 2-Acetyl-4,5-Thiazolin oder 3-Mercapto-2-Methyl-4,5-Dihydrofuran, um das an zwei Beispielen zu demonstrieren. Aber wie schmeckt das? Aromaproduzenten stellen reine Proben dieser chemischen Verbindungen her, anhand derer die Genussmittelexperten und -prüfer ihre Nasen und Gaumen trainieren. Sie wissen also nach der chemischen Analyse, dass ihr Untersuchungsgegenstand (Fleisch oder Wurst) etwa 2-Acetyl-4,5-Thiazolin enthält. Durch vergleichendes Schnüffeln am Probefläschchen und am Fleisch versuchen sie, sich dieses Aroma einzuprägen, um es im nächsten Beispiel möglicherweise wiederzuentdecken. Alle Hochachtung für das Gelingen. Doch wenn diese Zirkusnummer auch für Heiterkeit und lang anhaltenden Applaus bei einer sonntäglichen Schlachtplatte im wissenschaftlichen Milieu sorgen mag, löst sie doch nicht unser Problem. Kein Genussmensch würde sich in chemischen Formeln unterhalten wollen. Daher sucht man, wie beim Wein, nach entsprechenden Begriffen. In einem demokratischen statistischen Prozess, wo in Gruppen getestet, gekostet und in Listen eingetragen wird, wonach die jeweiligen Fleisch- und Wurstproben riechen und schmecken. Die Notizen werden gesammelt und nach Häufigkeiten untersucht. Und wenn dann „Walnuss“ oder „Champignon“ oder „rauchig“ die meisten Nennungen erhält, schreibt man sie als verbindliche Codes für die Fleischverkostung fest.

Wir baten Dipl.-Ing. Manfred Winkler, sich in dieser Weise am Neuburger zu versuchen, und wandten uns damit an einen Mann, der als Weinakademiker und Professor für Analytische Chemie und Sensorische Analyse mit den höchsten Weihen des Verkostens ausgezeichnet ist. Geruch, Geschmack, Textur lauteten die Stationen, die einen multifunktionalen Komplex und gemeinsam den „Flavour“ des Produkts bilden. Beginnend mit dem äußeren Erscheinungsbild des Neuburgers konstatierte der Professor einen wohlgeformten Körper, eine dezente Kruste mit Röstton und fand das sehr appetitlich. Den Anschnitt betrachtete er als schöne, homogene, feinporige Masse in rosa Farbe, die Frische signalisiert. Im Duft erkannte er eine Fleischgewürzaromatik: pikant, feingliedrig, anmutig und animierend, was sich ebenfalls unter Frische subsumieren lässt. Im Mund entwickelt der Neuburger eine geschmackliche Breite, die aus angenehmer, süffiger Backaromatik besteht, wo Röstaromen erkennbar sind, insgesamt vielschichtig, aber harmonisch eingebunden, mit einem kompakten, kurzen Abgang. Nach einzelnen Geschmacksnoten des Neuburgers befragt, zog unser Fachmann bedauernd die Augenbrauen hoch. „Genau das fehlt eben. Ich könnte frei von der Leber weg sagen: zimtig, trüffelig, vielleicht nussig. Oder noch genauer: muskatig. Aber über diese Eigenschaften muss man sich eben erst verständigen. Den Anfang dazu soll die nächste Versammlung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft machen. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.“