FASTENZEIT

SIEBEN TAGE NICHTS ZU ESSEN IST EINE WOHLTAT FÜR DEN KÖRPER.

Ereignislos von außen betrachtet, innerlich höchst faszinierend. Wie’s geht, lernt man in Fastenkursen. Eine Anleitung zum Verzicht. Die Autorin Andrea Fehringer war mehrmals bei Fastenkursen im Schloss Pernegg dabei.

 

»Jeder kann zaubern, jeder kann seine Ziele erreichen, wenn er denken kann, wenn er warten kann, wenn er fasten kann.« Hermann Hesse

 

Acht Frauen und drei Männer sitzen um einen Tisch im früheren Speisesaal des Klosters Pernegg, auf den Essen für die ganze Woche passen würde. Und tatsächlich sind die elf Tassen mit Suppe samt Gemüsestückchen, die vier Teller mit Vollkorn- und Sesam-Knäckebrot, die sechs Schalen mit Schnittlauch, Petersilie und Kresse genau das: das Essen für die ganze Woche. Also so etwas wie das letzte Abendmahl. Entsprechend andächtig wird es gegessen. Schweigend, mit stillem Genuss.

 

FASTEN IST NICHT HUNGERN

 

Aus der Sicht des Organismus hat Fasten mit Hungern nichts zu tun. Bekommt man unfreiwillig nichts zu essen, nimmt der Körper das übel; die selbst gewählte Fastenzeit hingegen tut ihm gut. Es ist das Vergnügen am Gegenstandslosen. Der Lohn des Verzichts. Es bringt neue Kraft, spirituelle Offenheit, klare Gedanken, einen anderen Bezug zum Essen. Es verjüngt und entgiftet. Frauen nehmen drei bis fünf Kilo ab, Männer vier bis sieben – das ist ungerecht, aber eigentlich Nebensache. Die Stille von Pernegg passt wunderbar zum Fasten. Man erhält Unterstützung in der Gruppe und Anleitung vom Profi. Weiß man, wie es geht, kann man sich auch in die Stille daheim zurückziehen und alleine fasten. Der Unterschied: Man braucht die doppelte Dosis Disziplin.

WILLKOMMEN IM NICHTS

 

Fasten, genauer gesagt Heilfasten, beginnt zwei Tage, bevor man nichts mehr isst, mit den sogenannten Entlastungstagen. Man beschränkt sich auf Reis oder Obst, damit sich der Organismus auf das, was vor ihm liegt, einstimmen kann. Und dann ist es so weit: Die letzte Mahlzeit ist gegessen, was man ab jetzt zu sich nimmt, ist flüssig. Um den Hunger in die Schranken zu weisen, gibt es einen einfachen Trick: Der Darm muss leer sein, dann knurrt auch der Magen nicht. Deswegen gibt’s am ersten Morgen Glaubersalz zum Frühstück. Im Normalfall 30 Gramm auf einen halben Liter Wasser mit etwas Zitrone für den Geschmack. Den Rest des Tages verbringt man in der Nähe des Hauses. Die Darmentleerung hat dem Körper, der für 24 Stunden Zuckerreserven hat, das Signal gegeben, von Normal- auf Notstoffwechsel umzuschalten.

STICHWORT INNENERNÄHRUNG

 

Die Systeme werden heruntergefahren. Ab nun wird an allem gespart, was nicht am Leben erhält, als Erstes am Blutdruck. Schnelle Bewegungen können einen schwindlig machen und hin und wieder klopft das Herz, als hätte man es eingesperrt. Die Muskeln bauen schädliches Eiweiß ab. Das Hirn überlässt die Arbeit der Fantasie, die jetzt so richtig aufblüht. Man darf sich das Oberstübchen vorstellen wie eine leere Werkshalle, wo die Vorstellungskraft großes Theater aufführt, in dem die Gefühle die Hauptrolle spielen. Die Psyche ist empfindsamer, aber auch empfindlicher. Für Analytisches ist die Zeit eher ungünstig. Es denkt sich jetzt nicht so schnell. Nun fastet man richtig. Was nicht heißt, dass man kraftlos wird. Zwanzig Schweden haben das einmal bewiesen, indem sie während einer Fastenperiode von irgendwo nach Stockholm gegangen sind. 500 Kilometer in zehn Tagen. Auch das schafft die Innenernährung. Ab nun gibt es nur noch zweimal am Tag etwas für den Magen. Einen frisch gepressten Obstsaft in der Früh, eine klare Gemüsesuppe zu Mittag. Um zwei Uhr herum hat die Leber Hochbetrieb und gern Hilfe dabei. Man legt ihr eine Wärmeflasche in einem leicht feuchten Handtuch auf, fertig ist der Leberwickel. Untertags trinkt man drei Liter Wasser oder Tee, abends wird der Darm mit lauwarmem Wasser weiter durchgeputzt.

ALLE FÜR EINEN, JEDER FÜR SICH

 

In den ersten drei Tagen kann der Kopf brummen, Schmerztabletten sollte man nach Möglichkeit keine nehmen. Man hat einen Geruchssinn wie ein Jagdhund und den Geschmack von Metall im Mund, den das ausgeschiedene Quecksilber hinterlässt. Dagegen hilft etwas Öl, das so lange im Mund gespült wird, wie man es nur aushält. Alternative: eine Zitrone lutschen. Wenn das Kopfweh nachlässt, fühlt man die Freiheit im Kopf und die Leichtigkeit im Körper. Man kann sich nicht vorstellen, an einem Tag jemals wieder mehr zu essen als einen viertel Liter Obstsaft und eine Tasse Suppe mit nichts. Beides gelöffelt, als wär’s ein Festessen. Die Gruppe wird nach und nach zur Familie. Das Schweigen beim Essen hat eine verschworene Elf aus den Fastenden gemacht. Je mehr sie sich mit sich selbst beschäftigen, desto mehr verstehen sie einander. Man redet nicht über den Beruf, man spricht nicht von Besitz. Was zählt, ist nicht das, was man darstellt, sondern das, was man ist.

UND DANN: FASTENBRECHEN

 

Es ist der Moment, auf den man sieben Tage lang hingearbeitet hat. Zum Frühstück: ein Apfel. In den man hineinbeißen kann. Den man kauen darf. Für den man Zähne braucht. Nach der Hälfte ist man satt. Ein Augenblick, den man nicht übersehen soll. Wer satt ist, sollte aufhören zu essen. Bis dahin kaut man jeden Bissen 36 Mal. Abends biegt sich der Tisch: Erdäpfel mit Topfen-Joghurt-Dip, zwei Paradeiserspalten und ein achtel Liter Buttermilch. Früher wäre das eine Vorspeise gewesen. Jetzt ist es ein Abschied. Von der Leichtigkeit des Seins, von der Unbeschwertheit, vom Schwebezustand, vom geistigen Höhenflug. Eine Woche wird es noch dauern, man darf nur langsam wieder ins gewohnte Leben zurückkehren. Ein paar Tage braucht es noch, bis der Darm genügend Verdauungssäfte produziert hat, um auch tierisches Eiweiß wieder aufzuschließen. Die Aufbautage sind die wahre Herausforderung des Fastens. Mit dieser Aufgabe ist jetzt jeder wieder allein.

DIE SCHÖNEN SEITEN DES FASTENS

 

Während des Fastens muss sich der Körper nicht damit beschäftigen, Nahrung zu verarbeiten, und hat daher Zeit und Energie für anderes.

 

Entschlacken: Ausscheidung von Giftstoffen und Ablagerungen.

 

Die Haut wird straffer, glatter und rosiger. Pickel und Mitesser verschwinden. Allergien, Neurodermitis und Schuppenflechte werden gelindert.

Die Haare erhalten mehr Spannkraft.

 

Der Geschmackssinn wird geschärft, was dazu führt, dass man bewusster isst. Viel Ungesundes schmeckt plötzlich gar nicht mehr.

 

Chronische Übersäuerung lässt ebenso nach wie Beschwerden, die damit im Zusammenhang stehen, wie etwa Rheuma, Gicht, Kopfschmerzen, Migräne, Mundgeruch, Zungenbelag, unangenehme Körperausdünstungen, Rückenschmerzen, Kreuzschmerzen, Gelenksschmerzen oder Gliederschmerzen.

 

Durch den Gewichtsverlust verändert sich die Körperhaltung. Rückenschmerzen werden gebessert. Der Abbau von Übergewicht und Fettablagerungen wirkt Diabetes mellitus Typ II entgegen.

 

Psychische Auswirkungen: Vergesslichkeit, Nervosität, Gereiztheit, Leistungsabfall, Anlaufschwierigkeiten, Schlafstörungen, Lustlosigkeit und selbst Depressionen lassen spürbar nach. Kniffelige Aufgaben lassen sich schneller und einfacher lösen. Man betrachtet die Dinge mit anderen Augen und findet Lösungen, an die man vorher nicht gedacht hat. Der Kopf ist frei, Krisen verlieren ihren Schrecken.

 

Man nimmt ab: Frauen drei bis fünf Kilo, Männer vier bis sieben. Da man in den Aufbautagen lernt, mit wie wenig Essen man auskommt, wie man aufhört, wenn man satt ist, und wie man richtig kaut und somit langsamer isst, kann man das verringerte Gewicht mit Disziplin auch halten.

ANDREA FEHRINGER ist Journalistin, Kolumnistin
und Buchautorin. Journalistisch beschäftigt sie
sich seit Jahrzehnten mit Themen im Lifestyle-
Bereich, die Körper, Geist und Seele betreffen.