FASTEN IM ALLTAG

FASTENZEIT IST EINE ART PROBEZEIT FÜR VORSÄTZE. ENTWEDER VERZICHTET MAN AUF ETWAS NUR BIS OSTERN. ODER MAN MERKT, WIE GUT EINEM DER VERZICHT TUT. UND ÄNDERT SEIN LEBEN. JEDENFALLS GEHT ES BEIM FASTEN UM MEHR ALS NUR UM ERNÄHRUNG.

VERZICHT FÄLLT SCHWER. VERZICHT TUT WEH. Aber fiele er nicht schwer und täte er nicht weh, wäre es kein Verzicht. Früher war Verzicht ein naher Verwandter der Strafe. Auferlegt von außen, wie bei einer Hungersnot. Befohlen von oben, wie von der Kirchenkanzel herunter. Heute hat der Verzicht ein etwas freundlicheres Wesen. Er liebäugelt mit dem Wohlbefinden. Kümmert sich darum, dass es einem nachher besser geht. Das hat ihm eine ansehnliche Anhängerschaft gebracht. Vor allem in der Fastenzeit. Verzicht liegt im Trend. Und er ist besser als sein Ruf.

FASTEN IST GESUND. Wenn Stress und Hektik den Alltag prägen. Wenn das Gehirn jeden Tag Tausende Eindrücke verarbeiten muss. Und wenn keine Entspannung in Sicht ist. Dann schadet das dem Körper und dem Geist. Dann denkt man über das eigene Leben nach. Dann besinnt man sich und versucht herauszufinden, ob man eigentlich zufrieden ist. Was man braucht. Was man nicht braucht. Was man anders und besser machen kann. Und welche Gewohnheiten man sich lieber abgewöhnen sollte. Man beschließt, auf dieses und jenes zu verzichten. Und verspricht sich davon mehr Ruhe. Oder mehr Gesundheit. Und weil Fasten schon lange nicht mehr zwingend etwas mit Religion zu tun hat, ist es auch ganz egal, woran man glaubt. Die Hauptsache ist, dass man an sich selbst glaubt. Das motiviert nämlich.

FASTEN UND ESSEN. Wenn es ums Fasten geht, denkt man zuerst an die Ernährung. Gesund will man bleiben, ausgewogen soll man sich ernähren. Also verzichtet man hier einmal auf Fleisch, dort einmal auf Alkohol und überhaupt einmal auf Süßigkeiten. Manche machen eine Saftkur. Andere essen nur jeden zweiten Tag. Dann aber, was sie wollen. Ob Pommes oder Pizza, Schnitzel oder Schopfbraten. 10in2 heißt die Methode, bei der man immer nur jeden zweiten Tag verzichten muss. Vielen Menschen fällt das leichter, als jeden Tag irgendetwas ganz wegzulassen. Außerdem soll diese Art der Enthaltsamkeit lebensverlängernd wirken. Der Verein für Konsumenteninformation ist aber kritisch und sieht eine mögliche Unterversorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen. Außerdem besteht das Risiko, dass der Jo-Jo-Effekt einsetzt. Aber Fasten hat sowieso nicht nur mit Essen zu tun.

FASTEN UND ERFOLG. Studien haben gezeigt, dass selbstdisziplinierte Menschen weniger finanzielle Probleme haben, seltener mit dem Gesetz in Konflikt kommen, gesünder und überhaupt zufriedener mit ihrem Leben sind. Die Fastenzeit eignet sich blendend, um Selbstkontrolle zu üben. Es ist ein spätes Neujahr. Nur mit weniger Erfolgsdruck. Die Vorsätze müssen nicht ab jetzt auf ewig gehalten werden, es sind Vorsätze auf Zeit. Die Fastenzeit ist eine Probephase. Mit dem Ablaufdatum Ostern. Danach lässt man, was nicht von Dauer sein kann. Und übernimmt, was zu einem passt. Immerhin ist die schwierige Anfangsphase schon überstanden und man spürt die Vorteile am eigenen Körper. Was dabei ganz unauffällig auf der Strecke bleibt, ist der Verzicht. Was anfängt, gutzutun, ist dann nämlich keiner mehr.

FASTEN-IDEEN. Zu hohe Ziele sind der Tod des Verzichts. In der Fastenzeit fünfzig Kilo abnehmen: Das wäre schön. In vierzig Tagen den Beruf wechseln: ein Kunststück. Aber es gibt ja noch andere Ideen. In Hohenems haben sie das Autofasten erfunden: das Auto stehen lassen und zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren. Die Bewegung fördert die Durchblutung und setzt Glückshormone frei. Man ist konzentrierter, zufriedener und entspannter. Außerdem tut man der Umwelt etwas Gutes. Apropos: Verzichten kann man auch auf Müll. Ein Kilo erzeugt jeder Durchschnittseuropäer pro Tag. Da verzichtet man halt morgens auf den Kaffee im Wegwerf-Becher und nimmt sich einen in der Thermoskanne mit auf den Weg. Oder man benutzt eine Stofftasche, statt sich jedes Mal ein Plastiksackerl zu kaufen.

DIGITAL FASTEN. Um aufs Smartphone zu verzichten, muss man die Fastenzeit schon sehr ernst meinen. Aber es geht. Zumindest stundenweise. Das macht das Leben so ruhig, so entspannt, so einfach. Social-Media-Fasten ist da gleich mit dabei, ein Leben ohne Handy ist ein Leben ohne Facebook. Hartgesottene können sich auch abmelden. Muss ja nicht von Dauer sein, die meisten Profile kann man, wenn man das dann noch will, wieder komplett herstellen. Privat kein Internet zu benutzen ist auch so eine Sache. Erst einmal undenkbar, merkt man dann, wie das die Eindrücke reduziert, die das Gehirn jeden Tag verarbeiten muss. Was sich da stattdessen alles denken lässt! Wie gut man schläft. Und wie viele Freunde man wieder trifft. Persönlich. Fastenzeit kann sehr kommunikativ sein.

SOZIALES FASTEN. Und schließlich kann man für den guten Zweck fasten. Worauf der eine verzichtet, kann einem anderen helfen. Verzichtet man auf Shoppingtouren, kann man das Geld, das man damit spart, irgendwem spenden. Auch Ausmisten ist eine feine Beschäftigung in der Fastenzeit. Geht Hand in Hand mit dem Frühjahrsputz. Macht die Wohnung luftig und den Kopf frei. Was nicht kaputt ist, schenkt man her. Stichwort Schenken: Das geht auch mit einem Lächeln. Man braucht nur auf die unfreundlicheren Worte zu verzichten, die einem sonst in der Hektik über die Lippen flutschen.

VORSICHT BEIM FASTEN. Was einem in der Fastenzeit leicht passieren kann, ist eine neue Sicht der Dinge. Eine Umdrehung der Werte. Auf einmal ist das Fasten gar nicht mehr schlimm. Und man kommt drauf: Um Himmels willen, Verzicht ist super!

FÜNF FASTENTIPPS FÜR DEN ALLTAG.

> Aus dem Weg gehen. Eigentlich ganz logisch, aber auch wissenschaftlich erwiesen: Den Verlockungen widersteht man am besten, wenn man ihnen aus dem Weg geht. Selbstdisziplinierte Menschen machen das auch nicht anders. Wie geht das? Man nimmt es wörtlich und meidet den Ort der Versuchung. Oder: Man trickst den Gusto aus indem man denkt, sich aber einfach nicht bewegt.

> Alles aufschreiben. Wenn man einmal weiß, worauf man verzichten möchte, macht man eine Liste. So vergisst man nichts, und hat außerdem einen Vertrag mit sich selbst geschlossen. Was hilft einem dabei? Wie bei einem Testament sucht man sich einen Zeugen und lässt ihn ebenfalls unterschreiben.

> Andere einweihen. Dasselbe geht auch mündlich. Familie und Freunde sind eine gute Unterstützung. Sie motivieren, reden gut zu oder machen mit. Und man geniert sich, wenn man aufgibt.

> Auf die Wirkung achten. Jeder Verzicht hat seine positiven Seiten. Er tut auch gut. Und das motiviert. Wie geht das? Man beobachtet sich, hört in sich hinein, erkennt die Unterschiede. Fühlt man sich wohler, wenn ja, wo und wie. Fühlt man sich leichter, wenn ja, wie viel.

> Angemessen belohnen. Wenn man etwas schafft, hat man auch eine Belohnung verdient. Das kann zum Beispiel ein Stück Schokolade oder ein schöner Tag im Spa sein. Wichtig ist, dass die Belohnung angemessen ist. Und dass man sich auch bei kleinen Erfolgen auf die Schulter klopft.

ANDREA FEHRINGER ist Journalistin, Kolumnistin
und Buchautorin. Journalistisch beschäftigt sie
sich seit Jahrzehnten mit Themen im Lifestyle-
Bereich, die Körper, Geist und Seele betreffen.