ORIGINAL GESCHMACK

HERMANN NEUBURGER SENIOR HAT DEN NEUBURGER ERFUNDEN. HERMANN NEUBURGER JUNIOR HAT IHN UNVERWECHSELBAR UND ZUM MARKENZEICHEN GEMACHT. EINE ZEITREISE DURCH DIE GESCHICHTE EINES ORIGINALS.

Hermann Neuburger senior

Hermann Neuburger junior

Man nehme: reichlich starken Willen, jede Menge Geduld, mindestens so viel Experimentierfreudigkeit, eine Großpackung Fachwissen, Liebe zum Detail und eine gute Prise Pioniergeist. Das ist das Erfolgsrezept der Familie Neuburger.

Begonnen hat alles in einer Fleischerei im oberösterreichischen Ulrichsberg, wo man schon immer über den Tellerrand hinausdachte. Zum Beispiel als der älteste der beiden Söhne Lehrer werden wollte. Nicht, dass an dem Beruf irgendetwas auszusetzen gewesen wäre, aber Hermann Neuburger senior war der Erstgeborene und sollte nach der Tradition den Familienbetrieb übernehmen. Die Eltern hatten aber nichts gegen seinen Berufswunsch, was zu jener Zeit im Oberen Mühlviertel reichlich ungewöhnlich war. Und dann überlegte es sich das Schicksal doch wieder anders. Der jüngere Sohn Walter – nach Hermann für die Nachfolge vorgesehen – war erst zehn Jahre alt, als er an Leukämie starb. Sein Bruder Hermann kehrte nach Ulrichsberg zurück und begann seine Fleischerlehre.

Schwierige Bedingungen. Wer in den vierziger Jahren Fleischhauer werden wollte, hatte so einiges vor sich. Viehhandel, Landwirtschaft und Schlachterei gehörten damals zur Ausbildung. Keine leichte Übung für einen Sechzehnjährigen. Die Woche begann montags um ein, zwei Uhr in der Früh. Das Vieh, das nach Wien verkauft wurde, musste zur Verladestation getrieben werden. Zu Fuß, auch im Winter, wenn kein Fahrzeug mehr durchkam. Auch im Schlachthaus der Neuburgers gab es noch keine Heizung. Das Wasser im Eimer fröstelte unter einer zentimeterdicken Eisschicht, in die man ein Loch schlagen musste, um es herauszuschöpfen. Von lauwarmem Wasser, mit dem bei der Herstellung von Knackwürsten die Därme gespült werden sollten, konnte keine Rede sein. Es gefror auf der Arbeitsbank, und die Würste flutschten einem aus den klammen Händen. Trotz all dieser Erschwernisse absolvierte Hermann Neuburger seine Gesellenprüfung. Dann musste er zum Militär.

Mit Kriegsende 1945 kam er aus italienischer Gefangenschaft zurück nach Ulrichsberg. Zwei Jahre später war er mit 22 der jüngste Fleischermeister Österreichs. Damals begann er mit Zutaten zu experimentieren und gab zum mageren Rindfleisch für sein Wurstbrät ebenso mageres Schweinefleisch, dadurch wurde das Brät noch feiner und sämiger. Und er verwendete nur beste Qualität. Schnitzelfleisch. Ein Sonntagsessen. Beachtliche 17 Schilling pro Kilo kostete damals Schweinefleisch, weil es so selten war. Das Getreide, das man zur Mast gebraucht hätte, wurde benötigt, um Brot zu backen. Schweine hielten sich die Bauern bloß als „Restlverwerter“ und für den Eigenbedarf. Dass Hermann Neuburger sein Brät aus so teurem Fleisch machte, war im Oberen Mühlviertel nicht nur ungewöhnlich, sondern fast ein Sakrileg.

Hermann Neuburger war Wurst nie wurscht. Obwohl damit aufgewachsen, bedurfte es vielleicht des Umwegs über den Lehrerberuf, dass er eine Klasse besser sein sollte. Er wollte das Besondere finden, das Spezielle kreieren. Nur was exzellent schmeckte, entsprach seiner Vorstellung. Schon während der Ausbildung belegte er jeden Kurs zum Thema Wursterei in der Region, von Ried über Rohrbach bis Perg. Ende der vierziger Jahre führte ihn sein Wissensdurst bis nach Augsburg, in die dortige Fleischerfachschule, deren renommierter Ruf Kollegen, meist Industriellensöhne, aus Frankreich, Dänemark und Belgien anzog. Neuburger war einer der wenigen kleinen Fleischer, die sich so exquisites Fachwissen leisteten. Und es dann nicht anwandte, um feine Terrinen und Pasteten herzustellen, sondern Würste und Leberkäse zu einer Delikatesse zu machen. Genau dieses Fachwissen und diese hohen Ansprüche machen den Unterschied zwischen herkömmlichem Leberkäse und dem Neuburger aus.

Mit einem Rucksack voller Ideen und neuen Rezepten kam Hermann Neuburger nach Ulrichsberg zurück und startete seine Wurst-Revolution. Seine Verbündeten waren ausschließlich die Edelteile des Rind- und Schweinefleisches, die sein Brät um so viel feiner machten. Heute kann die optische Feinheit durch eine eigene Maschine verbessert werden. Das bereits emulgierte Brät wird nochmals mit feinen Messern zerkleinert – allerdings geht diese Behandlung auf Kosten des Geschmacks. In der Firma Neuburger sucht man so eine Maschine vergeblich. Auch beim technischen Fortschritt war Hermann Neuburger wählerisch. Ein Wunderwerk, das er aus Augsburg mitbrachte, der Kutter, konnte in einem Arbeitsgang schneiden, mischen und emulgieren. Früher waren dafür zwei Maschinen notwendig. Mit seiner fachlichen Pionierarbeit beeindruckte Neuburger die Kollegenschaft, mit seinen Produkten die Kunden. Die einen kamen, um sich den Kutter vorführen, die anderen, um sich seine Delikatessen schmecken zu lassen. Dass das aufgrund der teuren Rohstoffe kein billiges Vergnügen war, störte niemanden. Es durfte von allem ein bisserl mehr sein, beim Neuburger genauso wie beim Preis.

Die Qualität im Hause Neuburger blieb gleich über die Jahre. Aus Hermann Neuburger, der einmal Lehrer werden wollte, machte die Zeit den Senior. Und der nächste Hermann Neuburger stand vor der Wahl, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Im Gegensatz zu seinem Vater absolvierte er die Fleischerlehre, bevor ihm etwas anderes vorschwebte: Er wollte Koch werden. Hermann Neuburger senior hätte schon sehr vergesslich sein müssen, seinen Sohn nicht zu verstehen. Er half ihm, eine passende Lehrstelle zu finden. Im Linzer Tourotel, einem Restaurant mit ausgezeichnetem Ruf und innovativer Küche, hat sich Hermann junior dann so motiviert nach oben gekocht, dass ihn der Küchenchef, dem man eine Stelle in Madeira angeboten hatte, dorthin mitnehmen wollte. Die Nelkenrevolution 1974 in Portugal hat den beiden die Suppe versalzen. Hermann Neuburger junior kehrte nach Ulrichsberg zurück, übernahm den Familienbetrieb und wurde Fleischermeister.

Von der Tradition zur Marke. Wie der Senior besuchte auch der Junior sämtliche Kurse, in denen er sein Können stets noch zu perfektionieren trachtete. An der Fleischforschungsanstalt im deutschen Kulmbach traf er bei einem Seminar, das sich eine Woche lang nur mit Brühwürsten beschäftigte, auf einen Lehrmeister, der ihm eine unübliche und innovative Technik zur Brätherstellung zeigte. Dieser verdankt der Neuburger unter anderem seinen einzigartigen Geschmack.

Die Idee, damit ein Markenzeichen zu setzen, kam Ende der siebziger Jahre über Nacht. Die Vision lag essfertig auf dem Teller. Allerdings ohne Namen. Sich einfach auf Neuburger zu beschränken, war anfangs so gar nicht nach Hermann Neuburger juniors Geschmack. Aber Leberkäse konnte man schon der Preisbindung wegen nicht sagen. Wäre der Neuburger als Leberkäse eingestuft worden, hätte bei den edlen, aber teuren Rohstoffen gespart werden müssen. Die Qualität wäre verloren gegangen. Die Einhaltung der Preisbindung wurde streng kontrolliert. Hermann Neuburger war sicher, dass die Preisprüfer auch irgendwann den Neuburger unter die Lupe nehmen würden, weil er ja auf den ersten Blick aussah wie ein Leberkäse. Hermann hatte zwar mit anderen Formen experimentiert, doch der perfekte Geschmack konnte nur im Blockformat von 50 x 26 x 13 Zentimetern erzielt werden. Neuburger in Wurstform schmeckte einfach anders.

Lange beanstandeten die Preisprüfer den Neuburger nicht. Bis ihn ein Kontrolleur aus Linz schließlich doch bei der Behörde meldete. Aber Hermann Neuburger wollte sich nicht kampflos geschlagen geben. So suchte er mit 20 Deka Neuburger in der Tasche den obersten Preisprüfer auf, um den Sachverhalt zu erklären und an Ort und Stelle deutlich zu machen, dass es bei den Zutaten zwischen dem Neuburger und einem Leberkäse Unterschiede gibt. Im Büro des Prüfers leistete Hermann zwar nach Kräften Überzeugungsarbeit. Der Grund, warum ihm dieser letztlich Recht gab, war allerdings ein anderer. Man könnte es das Glück des Tüchtigen nennen. Während die beiden Herren gerade über den am Tisch liegenden Neuburger diskutierten, kam die Ehefrau des Beamten ins Zimmer. Mit einem kurzen Blick auf das Produkt stellte sie fest: „Ah, ihr habt hier einen Neuburger!“ Ein Satz, der den Sieg bedeutete. Mit dieser Aussage war auch für den Preisprüfer klar: Sagen Sie niemals Leberkäse zu ihm.